Verkehrsrecht

Führerscheinverlust wegen erhöhtem Aggressionspotential - Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes unter dem Aktenzeichen 11 CS 14.2389

 

Weist ein KFZ-Führer ein überhöhtes unkontrolliertes Aggressionspotential auf, kann ihm die Fahrerlaubnis, auch ohne das komplette Durchlaufen des Punktesystems, entzogen werden.

 

Im vorliegenden Fall fiel ein Autofahrer negativ im Straßenverkehr auf, weil er gewalttätig wurde, nachdem er einen Rentner mit seinem Auto streifte.

 

Der Rentner schlug vor Schreck gegen das Auto des Unfallverursachers, woraufhin der Fahrer dem Rentner einen kräftigen Schlag auf den Kopf verpasste. Als die Frau des Fahrers diesen beruhigen wollte, schlug er auch ihr mehrfach ins Gesicht. Passanten, die helfend herbeieilten oder die Polizei rufen wollten, bedrohte er mit den Worten: „Lasst mich vorbei oder ich bringe euch alle um.“. Einen Passanten, der den Autoschlüssel des PKW an sich genommen hatte, verfolgte er und bedrohte diesen ebenfalls mit „Dich merke ich mir, dich bring ich um.“. Vor lauter Wut schlug der Fahrer im Verlauf der Situation die Heckscheibe seines PKW mit der Faust ein. 

 

Die Fahrerlaubnisbehörde forderte aufgrund dieses Verhaltens ein medizinisch-psychologisches Gutachten. Dieser Aufforderung kam der Fahrer allerdings nicht nach. Daraufhin entzog ihm die Behörde die Fahrerlaubnis.

Dagegen wollte sich der Fahrer wehren und reichte Beschwerde ein.

 

Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof entschied nun, dass die Entziehung der Fahrerlaubnis rechtmäßig war. Dies begründete er damit, dass die einzelnen Stufen des Punktesystems nicht durchlaufen werden müssen, wenn sich schwerwiegende Zweifel an der charakterlichen Eignung eines Fahrers zum Führen von Kraftfahrzeugen ergeben.

Hier waren die Zweifel an einer solchen Eignung durch die begangenen Straftaten unter Nutzung eines PKW ausreichend, um ein medizinisch-psychologisches Gutachten anzufordern. Da dieser Aufforderung nicht nachgekommen wurde, musste die Behörde eigene Ermessenerwägungen tätigen. Dabei kam die Behörde zu dem Schluss, dass die begangenen Straftaten auf eine Neigung zur Rohheit deuten könnten. Da von Fahrern mit erhöhtem Aggressionspotential ein erhöhtes Risiko ausgehe, seien die Interessen der Allgemeinheit - also der Schutz der Allgemeinheit im Straßenverkehr - höher zu bewerten, als die persönlichen Interessen des Fahrers. Weiterhin sei nicht auszuschließen, dass der Fahrer in anderen Konflikten ähnlich emotional impulsiv handeln werde.

 

Diese Ermessensgründe waren für den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof angemessen und reichten als Begründung zur Entziehung der Fahrerlaubnis aus.

 

Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof stellte auch fest, dass das längere Zurückliegen der begangenen Straftaten und die Tatsache, dass der Fahrer in der Zwischenzeit nicht mehr negativ im Straßenverkehr aufgefallen ist, keine Anhaltspunkte dafür sind, dass sich das Aggressionspotential des Fahrers alleine durch Abwarten vermindert hat.

 

Der Beschluss ist unanfechtbar ( § 152 Abs. 1 VwGO).

 

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Abstandsunterschreitungen müssen nicht anhand der Fahrbahnmarkierung erkannt werden – Beschluss des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 05.01.2015 unter dem Aktenzeichen 2 Ss (OWi) 322/14

 

Es ist Autofahrern nicht zuzumuten, dass sie eine Abstandsunterschreitung anhand der regulären Fahrbahnmarkierungen erkennen.

Außerdem reichen Geschwindigkeitsmessungen mit einem ungeeichten Tacho im Polizeifahrzeug nicht aus, um eine Geschwindigkeitsüberschreitung zu beweisen.

 

Im vorliegenden Fall wurde einem LKW-Fahrer vorgeworfen, die Geschwindigkeitsgrenze von 50 km/h überschritten zu haben. Weiterhin soll er den Mindestabstand, der bei über 50 km/h 50 m beträgt, nicht eingehalten haben.

 

Das Amtsgericht Wildeshausen verurteilte den Fahrer zu einer Geldbuße von 80 EUR. Das Amtsgericht gab in seiner Begründung an, dass der Fahrer an der Fahrbahnmarkierung hätte erkennen können und müssen, dass der Mindestabstand unterschritten war. Nach Auffassung des Amtsgerichtes muss jeder Fahrer die Länge der unterbrochenen Fahrbahnstreifen kennen und wissen, wie groß der Abstand zwischen diesen ist.

Weiterhin wurde als Beweis für die Geschwindigkeitsüberschreitung angeführt, dass der ungeeichte Tacho eines Kontrollfahrzeuges der Polizei mehr als 63 km/h angezeigt habe, als das Fahrzeug parallel zum LKW fuhr.

 

Gegen dieses Urteil reichte der LKW-Fahrer Rechtsbeschwerde ein. In seiner Beschwerde führte er aus, dass ein Kraftfahrer weder die Länge der Fahrbahnstreifen, noch die Länge der dazwischen liegenden Abstände kennen muss. Dies werde weder in der Fahrschule unterrichtet, noch gehöre es zum Allgemeinwissen. Selbst der Anwalt des Fahrers, der auf Verkehrsrecht spezialisiert ist, musste die genauen Längenangaben dafür nachschlagen.

Das Oberlandesgericht Oldenburg gab dem Fahrer in dem Punkt recht, dass ein Kraftfahrer diese speziellen Maße nicht kennen muss und insofern der Fahrlässigkeitsvorwurf bei der Abstandsunterschreitung damit nicht begründet werden kann.

Zudem stellte das Gericht fest, dass die Angabe, „der Tacho des Polizeiwagens zeigte „mehr als 63 km/h“ an“, nicht ausreicht, um eine nicht mehr vorwerfbare Geschwindigkeitsüberschreitung zu beweisen. Denn mehr als 63 km/h sind auch 63,1 km/h. Nach Toleranzabzug von 20 % (aufgerundet auf 13 km/h) würde man auf eine vorwerfbare Geschwindigkeit von 50,1 km/h kommen. Werden also volle km-Angaben betrachtet, wären höchstens 64 km/h ausreichend, nicht aber 63 km/h.

Außerdem ist zu klären, ob die Geschwindigkeitsangabe aufgrund eines maschinell vorgefertigten Schreibens, bei dem nur ein Kreuzchen bei „mehr als 63 km/h“ gemacht werden musste, erfolgte oder aufgrund eines individuellen Schreibens der Polizeibeamten.

Denn wurde das Schreiben individuell aufgesetzt, wäre zu klären, weshalb eine derart exakte Ablesung des Tachos möglich war.

 

Das Oberlandesgericht Oldenburg entschied somit, dass die Sache erneut verhandelt werden soll. Bei der nochmaligen Verhandlung sollen dann die oben genannten Punkte berücksichtigt und evtl. durch Vernehmen der Polizeibeamten geklärt werden.

 

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Auch nach strafgerichtlicher Entziehung der Fahrerlaubnis wegen einer Trunkenheitsfahrt bleibt die MPU erforderlich - Urteil des VGH Mannheim vom 07.07.2015 unter dem Aktenzeichen 10 S 116/15

 

Der VGH Mannheim hat im o.g. Urteil entschieden, dass auch dann eine medizinisch-psychologische Untersuchung (kurz MPU) erforderlich ist, wenn dem Betroffenen die Fahrerlaubnis von einem Strafgericht wegen einer Trunkenheitsfahrt entzogen wurde und er diese nun, nach Ablauf der erteilten Sperrfrist, neu beantragt.

Eine derartige Anordnung sei auch dann geboten - so der VGH - wenn bei der Fahrt unter Alkoholeinfluss die Blutalkoholkonzentration (BAK) knapp unter 1,6 Promille gelegen habe, aber dennoch deutliche Indizien für eine weit überdurchschnittliche Alkoholgewöhnung bestanden, wie etwa das Fehlen jeglicher Ausfallerscheinungen, da dies i. V. m. einer derartigen BAK auf eine hohe Alkoholgewöhnung und Giftfestigkeit hindeute.

 

Vorliegend wurde der Kläger wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung in einem Strafverfahren zu einer Geldstrafe von 55 Tagessätzen verurteilt. Außerdem wurde ihm durch das Strafgericht die Fahrerlaubnis entzogen und ebenso eine Sperrfrist für die Neuerteilung von 5 Monaten erteilt.

Nach Ablauf dieser Sperrfrist beantragte der Kläger die Neuerteilung der Fahrerlaubnis beim Beklagten. Als dieser nicht tätig wurde, erhob er Klage.

Folgend forderte ihn der Beklagte auf, ein medizinisch-psychologisches Eignungsgutachten beizubringen.

Er berief sich auf eine rechtmäßige Anordnung nach § 13 Satz 1 Nr. 2 der Fahrerlaubnisverordnung (FeV) zur Vorbereitung der Entscheidung über die (Neu-)Erteilung der Fahrerlaubnis.

Diese sei  u.a. geboten, wenn

"a) ... Tatsachen die Annahme von Alkoholmissbrauch begründen,

 b) wiederholt Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss begangen wurden,

 c) ein Fahrzeug im Straßenverkehr bei einer Blutalkoholkonzentration von  1,6 Promille oder mehr oder einer Atemalkoholkonzentration von 0,8 mg/l oder mehr geführt wurde,

 d) die Fahrerlaubnis aus einem der unter den Buchstaben a bis c genannten Gründe entzogen war ...

 e) ..."

Dem kam der Kläger jedoch nicht nach und seine Klage wurde abgewiesen.

In der nun folgenden Berufung trug er vor, § 13 Satz 1 Nr. 2 lit. d) FeV erfasse lediglich die vorherige Entziehung der Fahrerlaubnis durch die Behörde, nicht aber durch den Strafrichter.

Der VGH bestätigte dies nicht. Vielmehr sei der Kläger rechtmäßig zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Eignungsgutachtens aufgefordert worden. Es konnte durch die Nichtbeibringung des Gutachtens auf das Fehlen der Kraftfahreignung des Klägers geschlossen werden.

Somit könne auch bei einer strafgerichtlichen Entziehung wegen einer Fahrt unter Alkoholeinfluss nach § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe d) FeV stets ohne Weiteres eine MPU angeordnet werden.

Die Revision zum Bundesverwaltungsgericht wurde zugelassen.